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Reihe "Schlüsselthemen der Gegenwartsliteratur"

Mit den „Schlüsselthemen der Gegenwartsliteratur“ initiiert das Internationale Forschungszentrum Chamisso (IFC) einen Trialog zwischen Literatur, Literaturkritik und Literaturwissenschaft. Kritik und Wissenschaft haben sich in den vergangenen hundert Jahren stetig voneinander entfernt. Während die Literaturkritik Werturteile über literarische Texte fällt, soll sich die Literaturwissenschaft mit sprachlichen Artefakten nicht normativ beschäftigen, sondern aus der Perspektive distanzierter Beobachtung.

Was bedeutet diese Entwicklung sowohl für die philologische Forschung als auch für die Literaturkritik als Wissens- und Bildungsinstanzen? Was können Literatur, Kritik und Wissenschaft jenseits pflegeleichter Unterhaltung sowie außerwissenschaftlich definierter Nützlichkeit jeweils ‚leisten‘? Wie können schließlich die unterschiedlichen Zugänge zu Textprozessen und Sachzusammenhängen, zu Optionen in der Alltagswelt und zum „Möglichkeitssinn“ poetischer Rede in einen Trialog gebracht werden, der das Ganze unserer Gegenwart erschließt?

Literatur

  • Dieter Henrich: „Theorieformen moderner Kunsttheorie.“ In: D.H., Wolfgang Iser (Hrsg.): Theorien der Kunst [1982]. Frankfurt/M. 1993, S.11-32.
  • Dieter Thomä (Hrsg.): Gibt es noch eine Universität? Zwist am Abgrund - eine Debatte in der "Frankfurter Zeitung" 1931-32. Konstanz 2012.
  • Paul Michael Lützeler: „Einleitung: Literatur-Triade Kritik, Dichtung, Wissenschaft.“ In: P.M.L.: Publizistische Germanistik. Essays und Kritiken. Berlin/Boston 2015, S.1-21.

„Schlüsselthemen der Gegenwartsliteratur“ 2018

Erkenntnis und Erzählung: Der zeitgenössische Schriftsteller und die Philosophie.
Ein Abend mit dem Schriftsteller Senthuran Varatharajah (Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis 2017) und dem Literaturwissenschaftler Thomas Borgard

THE LOVELACE – A HOTEL HAPPENING, München, Kardinal-Faulhaber-Straße 1
Mittwoch 4. Juli 2018, 20:00 Uhr

In einer Epoche, in der alle Bereiche des individuellen Lebens auf Marktgängigkeit überprüft, mithin ausgerichtet werden auf Produktion und Konsum, wird die Frage nach dem gelingenden Leben prekär. Es ist die Rede von der „Work-Life-Balance“, wohinter sich nach Aussage des Philosophen Dieter Thomä die traurige Auffassung verbirgt, dass man nicht lebt, wenn man arbeitet.

Marx, ein Schüler Hegels, hegte noch die Hoffnung, mit der durch die Automatisierung erweiterten „freien Zeit“ wachse das Potenzial für die schöpferische Selbstentfaltung. Es kam allerdings anders: Mit dem Wort „Freizeit“ wird heute vor allem die Erholung verbunden, also der Zeitvertreib und übereinstimmend mit dem Ziel, die Zeit der Arbeit möglichst schnell hinter sich zu bringen.

Hektik und Zeitvertreib aber stehen Muße und Kontemplation als Voraussetzungen der Reflexion entgegen, weshalb sich uns die Frage stellt: Was verbindet den zeitgenössischen Erzähler eigentlich überhaupt noch mit der „theoretischen Neugierde“ (Hans Blumenberg) der Philosophen? Und gilt nicht heute mehr denn je, was viele Philosophen seit Platon behaupteten, nämlich dass die literarische Praxis, ihre metaphernreiche Sprache auf der einen und die begriffliche Erkenntnis auf der anderen nicht viel miteinander zu tun haben?

Vor diesem Hintergrund wollen wir uns auch fragen: Warum sind Muße und Reflexion gerade in einer von der ökonomischen ‚Logik‘ beherrschten Zeit ein möglicherweise unentbehrliches ‚Kapital‘? In welcher Weise ist literarisches Erzählen selbst ein Reflexionsakt? Und: wieviel Literatur, wieviel Erzählung, steckt in der Philosophie?

Dies sind Fragen, denen Senthuran Varatharajah im Debutroman „Vor der Zunahme der Zeichen“, in Essays sowie anhand einer einfallsreichen Lektüre seines als unlesbar geltenden Lieblingsphilosophen Hegel nachgeht.

Literatur

  • Senthuran Varatharajah: Vor der Zunahme der Zeichen. Roman. Frankfurt/M. 2016.
  • Georg Wilhelm Friedrich Hegel: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg/Würzburg 1807.
  • Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Wissenschaft der Logik. 2 Bde. Nürnberg 1812-1816.
  • Hans Blumenberg: „Wirklichkeitsbegriff und Möglichkeit des Romans“. In: Hans Robert Jauß (Hrsg.): Nachahmung und Illusion. Kolloquium Gießen Juni 1963. Vorlagen und Verhandlungen. München 1964, S.9.27.
  • Hans Blumenberg: Der Prozess der theoretischen Neugierde. Frankfurt/M. 1973.
  • Dieter Thomä: „Ziemlich irrer Lebensstil“. In: Wirtschaftswoche. 15. August 2010.

„Schlüsselthemen der Gegenwartsliteratur“ 2017

Wörter welcher Fremde? Ein Gespräch über Poesie und Politik der Ungehörigkeit
Ein Abend mit der Schriftstellerin und Übersetzerin Uljana Wolf (Adelbert-von-Chamisso-Preis 2016), dem Literaturkritiker Michael Braun und dem Literaturwissenschaftler Thomas Borgard

Autorenbuchhandlung München, Wilhelmstraße 41
Donnerstag 22. Juni 2017, 19:00 Uhr

Es soll vor allem darum gehen, gemeinsam zu diskutieren, ob und in welcher Hinsicht die Favorisierung experimenteller Schreibweisen in der Lyrik auch eine Abkehr von einer im programmatischen Sinne politischen Literatur impliziert und – wenn dem so ist – worin der „Mehrwert" sprachexperimentellen Dichtens bestehen kann? Das kann unter Umständen auf die Frage hinauslaufen, ob die gegenwärtige Lyrik (bzw. Literatur) überhaupt noch zweistellig, d.h. anhand des Gegensatzes von Realität und Fiktion/Imagination begriffen werden kann – oder ob wir dazu ein drei- oder gar mehrstelliges Verständnis benötigen, zu dem möglicherweise gerade die Texte, Übersetzungen und Sprachexperimente Uljana Wolfs anregen.

Literatur

  • Uljana Wolf: Subsisters: Selected Poems. Translated by Sophie Seita. New York 2017.
  • Uljana Wolf: Wandernde Errands: Theresa Hak Kyung Cha’s translinguale Sendungen. Heidelberg/München 2016.
  • Uljana Wolf: Eugeniusz Tkaczyszyn-Dycki: Tumor Linguae. Aus dem Polnischen von Michael Zgodzay und Uljana Wolf. Wien 2016.
  • Uljana Wolf: meine schönste lengevitch. Gedichte. Berlin 2013.

„Schlüsselthemen der Gegenwartsliteratur“ 2016

Sprach-Störung: Poetische und ökonomische Rebellionen gegen die Alternativlosigkeit
Ein Abend mit Zsuzsanna Gahse, Silja Graupe, Thomas Borgard und Gesine Lenore Schiewer

Stiftung Lyrik Kabinett, München
Freitag, 24. Juni 2016, 20:00 Uhr
Amalienstrasse 83 (Rückgebäude)
http://www.lyrik-kabinett.de/

Was ist Poesie? Und was macht Literatur zu einem besonderen, vielfach bewunderten Kulturprodukt? Literarische Texte lenken unsere Aufmerksamkeit auf die Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem, zwischen Wortgebrauch und Sinndeutung. Poesie macht uns bewusst, wie wir uns selbst und wie wir die Welt wahrnehmen. Indem SchriftstellerInnen in ihren poetischen Werken den Sprachgestus der Abweichung, Verfremdung und Mehrdeutigkeit entdecken, wenden sie sich zugleich gegen einige Folgen der technisch-ökonomischen Modernisierung. In jüngster Zeit werden nun erstmals vermehrt ökonomische Stimmen laut, die eine die Wahrnehmung trübende, automatisierte Wirtschaftssprache beklagen. Diese sei so abstrakt, dass sie den Unterschied einebne zwischen den Eigenschaften des Gegenstands und dem Zirkulieren der Gedanken. Aufgezeigt werden Auswege aus der Monokultur der Reproduktion des Identischen, die westliche Gesellschaften anfällig macht für Ideologien. Denn in Gestalt der von der Einführung des Fließbands bis zum Internetzeitalter immer weiter perfektionierten sozialplanerischen Großversuche scheint sich die aufgeklärte Vernunft in ihr Gegenteil zu verkehren: Anpassungszwang bis zur Uniformität, kommerzieller Verwertungshunger, Unbildung und demokratischer Partizipationsverlust. Es ist die neue Rebellion der Ökonomik gegen ihre eigenen Voraussetzungen, in der sich ein bisher noch nie dagewesenes gemeinsames Gesprächsforum abzeichnet: zwischen Wirtschaftswissenschaft, Literaturwissenschaft und AutorInnen, die den kulturellen Mehrwert poetischer Sprachbildung implizit oder explizit zum Thema ihrer Literatur machen.

Es lesen und diskutieren die Schriftstellerin und Übersetzerin Zsuzsanna Gahse (Adelbert-von-Chamisso-Preis 2006), die Ökonomin Silja Graupe (Cusanus Hochschule) sowie die Literaturwissenschaftler Thomas Borgard und Gesine Lenore Schiewer vom Internationalen Forschungszentrum Chamisso-Literatur (LMU München).

Literatur

  • Zsuzsanna Gahse: Instabile Texte zu zweit. Mit 6 Textzeichnungen der Autorin. 2. Aufl. Wien 2005.
  • Zsuzsanna Gahse: Südsudelbuch. Wien 2012.
  • Silja Graupe: „Ökonomische Bildung: Die geistige Monokultur der Wirtschaftswissenschaften und ihre Alternativen.“ In: Coincidentia. Zeitschrift für europäische Geistesgeschichte. Beiheft 2: Bildung und fragendes Denken (hrsg. v. Harald Schwaetzer) 2013, S.139-165.
  • Thomas Borgard: „Zur epochalen Dominanz und Riskanz ökonomischer Metaphernkomplexe.“ In: Benjamin Specht (Hrsg.): Epoche und Metapher. Systematik und Geschichte kultureller Bildlichkeit. Berlin/Boston 2014, S.280-299.

„Schlüsselthemen der Gegenwartsliteratur“ 2015

Ein Abend mit Sherko Fatah

Literaturhaus München, Forum
Mittwoch, 17. Juni 2015, 20:00 Uhr
Salvatorplatz 1
http://www.literaturhaus-muenchen.de/veranstaltung/items/3102.html

Gegenwärtig stehen Beschwörungen von Fortschritt und Wachstum Krisenszenarien gegenüber, die Breitenwirkung nicht selten durch die neue, alte Reizfigur des „Fremden“ erzielen. Dabei bleibt unklar, ob es die fremde Wirklichkeit ist, welche verunsichert, oder vielmehr das Gefühl der Entfremdung in der eigenen Kultur. Sherko Fatahs Romane (zuletzt: „Der letzte Ort“, Luchterhand, 2014), vermitteln Erlebnisse des Fremden und machen zugleich einen doppelten Perspektivwechsel bewusst: Es geht um den Gewinn von Abstand gegenüber Inszenierungen der Realität als vermeintliche „harte Fakten“ und als pflegeleichte Unterhaltung. Artikuliert sich hier – in einer Zeit, in der das Verhältnis zur (Frage nach der) Wirklichkeit gespalten scheint – ein Wille zu neuer Aufklärung, dem sich Schriftsteller und Literaturwissenschaftler auf je eigene Weise verpflichtet fühlen sollten?

Mit dem diesjährigen Adelbert-von-Chamisso-Preisträger Sherko Fatah diskutieren Gesine Lenore Schiewer und Thomas Borgard vom Internationalen Forschungszentrum Chamisso-Literatur an der LMU München und Gregor Dotzauer, Kulturredakteur des „Tagesspiegel“.


Literatur

  • Sherko Fatah: Der letzte Ort. Roman. München 2014.
  • Gregor Dotzauer: „Aber echt! Rückkehr der Wirklichkeit in die Kunst.“ In: Der Tagesspiegel, 17. Juni 2010.
  • Gregor Dotzauer: „Ein Gespräch mit Sherko Fatah: ‚Die Welt zerfällt vor unseren Augen‘.“ In: Der Tagesspiegel, 28. Januar 2015.